Der Arztkoffer

von Reinhild Sporleder-Kirchner

Der Arztkoffer wird in meiner Praxis von meinen Patienten immer wieder als wichtiges Darstellungsmittel für ihre Fantasieren und Ängste genutzt. Sei es, dass sie ihn lediglich vorsichtig öffen und inspizieren, oder dass sie ihn an sich selbst, an einer Puppe oder an der Therapeutin ausprobieren und anwenden. Während manche Kinder ihn gar nicht beachten oder nach kurzer Ansicht wieder wegstellen, ist es für andere ein wichtiges Mittel, ihre Traumata darzustellen und zu bearbeiten. Der Inhalt mit einem echten Stethoskop, einem symbolisierten Fieberthermometer, Spritzen, Pflaster, Binden, Schere, Pinzette, Rezeptblock und Stift ermöglicht ein Nachspielen der erlebten und/oder fantasierten ängstigenden Situationen der Abhängigkeit und Hilflosigkeit bei am eigenen Körper erlittenen Eingriffe oder von bei nahen Angehörigen miterlebten Erkrankungen. Die sehr unruhige und entwicklungsverzögerte neunjährige Mona erlebte - seit einem ersten Krampfanfall mit sechs Monaten - immer wieder lebensbedrohliche Anfälle, welche häufige Krankenhausaufenthalte notwendig machten. Zur Therapie bringt sie manchmal ihre Puppe mit, welche dann von uns gemeinsam "verarztet" wird. Anfangs noch sehr liebevoll, zeigt sie zunehmend ihre sadistischen, sie quälenden Fantasien, indem der Puppe der Mund zugeklebt oder diese an Armen und Beinen verbunden wird und ihr Getränke eingeflößt werden.

Auch die wegen Lernstörungen kommende, inzwischen 13-jährige Line, die wegen einer Skoliose ein Korsett tragen muss -, braucht den Arztkoffer. Sie quält in vielen Stunden eine Puppe, welche sie "Joker" nennt. Dieser wird ein Lächeln ins Gesicht operiert, und sie injiziert mit der Spritze rotes "blutiges" Wasser, während sie die sadistische Ärztin ist. Die herzkranke und einnässende 6-jährige Emma versucht, ihr eigenes und mein Herz abzuhören, sie kann endlich einmal selbst behandeln und auch nach wenigen Stunden ihr Pipi besser kontrollieren.

Dipl-Psych Reinhild Sporleder-Kirchner
Analytische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin
Schwäbisch Gmünd im September 2010


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