Symbolisierungsraum Krokodile

von Christiane Nick

Fast kein Kind in meiner Praxis übersieht meine beiden giftgrünen Krokodile, welche durch einen Mechanismus beim Drücken eines bestimmten, aber jedes Mal anderen Zahnes, zuschnappen. Sie üben für meine Patientenkinder eine fast magische Anziehungskraft aus und haben einen hohen Aufforderungscharakter. Wie in der therapeutischen Beziehung zu mir damit umgegangen wird, oder wie beide Krokodile vom Kind in Beziehung zueinander gesetzt werden, gibt mir Aufschluss über eine momentane Befindlichkeit des Kindes, über seine inneren Objekte und unsere Übertragungsbeziehung:
Ein Angstkind beispielsweise möchte, dass ich alle Zähne drücke und geschnappt werden soll. Es will mich auf diesem Weg seine eigene Angst und Schrecken vor Ausgeliefertsein, Verschlungenwerden und eigener Hilflosigkeit spüren lassen!
Ein Kind mit omnipotenten Allmachtsphantasien, lässt sich kurzerhand gar nicht schnappen, indem es einfach manuell eine „Maulsperre“ einbaut und anschließend zur Krönung mit einem Fausthieb dies „böse Ding“ mundtot macht. Und ich solle mir ebenso jegliche Kommentare sparen!
Ein sexuell missbrauchtes Mädchen, ebenso ein Junge mit einer kontrollierenden, autonomiehemmenden Mutterbeziehung, sehen das kleine Krokodil im Maul des großen als Opfer, welches aufgefressen wird. Gemeinsam haben wir das kleine Krokodil „gerettet“ und das große getrennt und woanders hingestellt und damit ein mögliches Therapieziel kindgerecht verbildlicht!
Ein Junge mit u.a. Kontrollzwängen bringt in einer Stunde einen Schraubenzieher mit, um das Krokodil auseinander zu schrauben, weil ihm das uneinschätzbare, willkürliche Zuschnappen des Krokodils keine Ruhe lässt und er eine manipulative Lösung sucht, diese ihn beängstigende „Übermacht“ zu bezwingen. Ergebnis: das Krokodil verlor jegliche Bissigkeit, egal „auf welchen Zahn gefühlt wurde“. Analog dazu konnte er sich seither angstfreier auf unsere Beziehungsgeschehen einlassen.
Bisher konnte kein Kind das kleine Krokodil zum Schutze im Maul des großen im Sinne eines guten, haltenden und nährenden Mutterobjektes begreifen—aber dann käme es wohl auch nicht zu mir!

Christiane Nick
Analytische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin
Biberach


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