Der Tischkicker

von Jürgen Heinz

Ein Tischfußballspiel oder, wie wir meistens sagen, ein „Kicker“ in der Praxis eines analytischen Kinder- und Jugendlichen-psychotherapeuten? Passt ein solches Spielgerät nicht eher zu einem Jugendhaus?


Gewiss, auch dort hat es seine Berechtigung. Aber eben auch in einer kindertherapeutischen Praxis – genauer: in meiner Praxis. Denn wie für alle von uns ausgewählten Einrichtungsgegenstände und Spielsachen gilt auch hier: Sie müssen zu uns passen, für uns eine Bedeutung haben, oder die Kinder und Jugendlichen spüren dies und beachten sie nicht.
Ich habe den Kicker auch für mich gekauft, einfach deshalb, weil ich gern mit ihm spiele.

Dieses Spielgerät kann wie ein Katalysator wirken und eine Kontaktaufnahme auch mit verschlossenen oder abweisenden Kindern erleichtern.
Kürzlich wurde ein zwölfjähriger Junge offensichtlich gegen seinen Willen zum Erstgespräch gebracht. Er versteckte sich unter Mütze und Rollkragenpulli wie in einer Rüstung. Nur die Augen blieben frei. Zum Kickerspiel holte seine Hände aus den Ärmeln hervor, und während des Spiels entwickelte sich allmählich ein Gespräch, das er nicht als bedrohlich empfand.

Da ist der Zehnjährige, der in jeder Stunde mit dem Kicker spielt. Niederlagen erträgt er nur schwer und empfindet sie als beschämend. Er hat entdeckt, dass und wie er seine spielerische Unterlegenheit ausgleichen kann. Er verbietet es mir, mit allen vier Reihen zu spielen. Besonders effektiv ist – so hat er es herausgefunden –,wenn ich auf meine Abwehr (!) verzichten muss. Mit dieser Erkenntnis lässt es sich arbeiten ... .

Besonders beeindruckt hat mich das dreizehnjährige Mädchen mit einer schweren Zwangssymptomatik, dessen Vater gestorben war. Es hat erst äußerst zaghafte Versuche mit dem Kicker unternommen, ihn zunächst kaum zu berühren gewagt. Mit der Zeit hat es so hart geschossen, wie es mir nicht gelang, und hat auch öfter gegen mich gewonnen.
Je mehr dieses Mädchen seine aggressiven Möglichkeiten im (Kicker-)Spiel entdeckte und erlebte, dass der Therapeut die Aggressionen aushielt – und wir dies bearbeiteten –,desto geringer wurden seine Schuldgefühle und seine Zwangssymptomatik.

Ein Kicker in der Praxis? – Aber ja!


Jürgen Heinz
Analytischer Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut
Gerstetten - Heuchlingen


» zurück


       
impressum | eine Idee von Hans Georg Lehle