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Die Handpuppe
von Annette Kuptz-Klimpel
Der Kasper, bekannt als lustige Hauptfigur des deutschen
Handpuppentheaters, historisch auch des Volkstheaters, hat sich vermutlich
über die Jahrhunderte aus verschiedenen komischen Trickster- und
Schelmenfiguren der fahrenden und rechtlosen Gaukler entwickelt. Im Personentheater
der Antike gab es schon Spassmacher. Mimen und Gaukler brachten später
die lustige Figur auch in das Puppenspiel.
Der Handpuppenkasper mit seinen bekannten Symbolfiguren wie Seppel, Großmutter,
Hexe, Prinzessin, König, Polizist, Räuber, Teufel, Krokodil
hat bis heute als Spielzeug nicht nur Einzug in Kinderzimmern und Kindergärten
gehalten, sondern spielt auch in analytischen Kinderpsychotherapien eine
wichtige Rolle:
Der Kasper kann als Repräsentant
des Ich des Kindes verstanden werden, das bei vielen Kindern noch unentwickelt
und schwach ist und sich entwickeln muss, etwa vergleichbar der sich entwickelnden
Heldenfigur im Märchen. Deshalb ist der Kasper ja auch immer gefährdet
einzuschlafen und muss von seinem Publikum gewarnt und geweckt werden,
wenn ihm Gefahr droht. Wie auch beim Narren oder Clown ist das hinter
dem Kaspermotiv stehende archetypische Motiv das des Schelms oder Tricksters.
Der Kasper mit seinem Ehrgeiz, seinem Bemühen, seinen Wünschen,
seiner Feigheit und seinem Mut, schlau wie naiv, repräsentiert den
sich entwickelnden Helden, der meist verborgene Schätze (Selbstwert,
Selbstaspekte) finden muss, die Prinzessin oder Gretel (der weibliche
Seelenanteil, die Anima, meist der noch unentwickelte weibliche Anteil,
der von der Macht der Hexe befreit werden muss) befreien und sich mit
regressiven Verlockungen seines Unbewussten (z.B. Essen und Schlafen-
verkörpert im kindlich/ naiven Seppel) und mit den Elterninstanzen
Großmutter (positiver Pol des Mütterlich/ Weiblichen), Hexe
(negativer Pol des Mütterlich/ Weiblichen, der fressend, vergiftend,
festhaltend erlebt wird), König (verkörpert das kollektive Bewusstsein,
das väterlich-männliche Prinzip, Wahrer der Tradition) und Polizist
(Über- Ich-Aspekt, Verkörperung von Recht und Gesetz, der fordernden
und verbietenden Instanz) auseinandersetzen muss. Er ist in ständiger
Gefahr durch den Räuber (Triebimpulse, das verbotene Wollen, das
verpönte Bösesein), den Teufel (Schattenaspekt, der als personifiziertes
Böses existentiell wichtig ist und dem Guten als Polarität gegenüber
steht. Im kindlichen Spiel ist er häufig nicht der absolut Böse,
nimmt nimmt als Archetyp des Widersachers eine hilfreiche Funktion ein,
die der Ich- Instanz im Kampf gegen erstarte Normen oder negative Aspekte
des großen Mütterlich/ Weiblichen zur Seite steht und damit
progressiv wirkt), Krokokodil oder Feuerdrache (aggressive Tendenzen,
verschlingende Aspekte des Unbewussten oder des negativen Pols des großen
Weiblich/ Mütterlichen). Auch wenn die Situation gar zu schwierig
ist, in der der Kasper steckt, er gibt niemals auf. Der Kasper kann einerseits
in Zusammenhang mit dem Archetyp des Kindes als Träger von Selbstaspekten
und Ganzheitspotential verstanden werden, andererseits mit seiner Nähe
zum archetypischen Motiv des Tricksters als kollektive Schattenfigur,
was natürlich auch seine große Faszination auf Kinder erklären
kann.
Kinder unter 4 Jahren spielen meist ohne Kasperfigur. Wenn die Kasperfigur
dann auftritt, ist bereits von einer Ich- Stabilisierung auszugehen, auch
wenn der Kasper in Gefahrensituationen immer wieder droht einzuschlafen
und von seinem Publikum gewarnt und geweckt werden muss.
Ein 7 jähriges Mädchen, das
wegen umfangreicher phobischer Ängste, Aggressionsblockaden, massiver
Selbstwertstörung und Identitätsproblematik in Zusammenhang
mit einer frühen Bindungsstörung bei mir in einer analytischen
Psychotherapie war, stellte ihre innere Situation in etlichen Behandlungsstunden
mit Handpuppen dar:
Die Patientin nahm anfangs die Rolle des „lieben Feuerdrachens“
ein, der kein Feuer mehr spucken kann und dem auch noch die Beine und
die Flugfähigkeit durch die Hexe weggehext wurden. Diesem Drachen
gehören aber viele Schätze. Kasper und Seppel treffen ihn im
Wald, freunden sich mit ihm an und wollen zum Schatz des Drachen geführt
werden. Die böse Hexe hat jedoch den Schatz geklaut. Erst mithilfe
von Kasper und Seppel findet der Feuerdrache ins Lager der Hexe und kann
ihnen heimlich seine Schätze in Abwesenheit der Hexe zeigen. Gemeinsam
mit dem „lieben Drachen“ gibt es noch eine Schlucht zu überwinden
mit bösen Drachen, giftigen Schlangen und einer klebrigen Krake,
die sich am Kasper festsaugt und diesem zusetzt. Später kommt noch
die Gretel zu Kasper und Seppel dazu (welche von der Patientin gespielt
wurde), die sich aus der Gefangenschaft der Hexe befreien konnte. Diese
kann nun wertvolle Tipps geben, wie die Hexe überwältigt und
der Schatz zurück erobert werden kann. Vor allem kann sie auch dem
armen Feuerdrachen mit einem Heiltrank der Hexe helfen, so dass er wieder
Feuer spucken und sich fortbewegen kann.
Der Drache gehört als verschlingender Aspekt zum negativen Pol des
Großen Mütterlich/ Weiblichen oder bedeutet das Unbewusste,
aus dem das Ich des Kindes sich entwickeln muss, immer wieder der Gefahr
ausgesetzt, zurück geschluckt zu werden. In der Darstellung des Kindes
repräsentiert der Drache aber durch die Freundschaft zwischen dem
Kasper (dem sich entwickelnden Ich des Kindes) und dem Drachen Aspekte
des Es, der Trieb- und Instinktseite des Kindes wie auch aggressive Impulse,
die blockiert sind. Infolge der frühen Bindungsstörung der Patientin
(negativer Mutterkomplex) und ihrer gestauten Aggressivität kommt
es zu phobischen Ängsten. Das Mädchen kann ihre Aggression im
Sinne von Agredere (auf die Welt zugehen) nicht ausreichend einsetzen,
was bei ihr zur Einschränkung von Progression führt und regressiven
Tendenzen (Fähigkeit zum Feuerspucken ist eingeschränkt und
Fortbewegungsfähigkeit des Drachen ist gestört). Das wiederkehrende
Motiv des von der Hexe gestohlenen Schatzes weist auf die ausgeprägte
Selbstwertstörung der Patientin hin. Kasper (das sich entwickelnde
Ich) muss sich der Auseinandersetzung mit den Drachen, Schlangen und der
verschlingenden Krake, wie auch der machtvollen Hexe (als Aspekte des
negativ Mütterlichen/ Weiblichen) stellen. Erst mit Hilfe der tüchtigen
Gretel (der unentwickelte weibliche Seelenanteil, der hier aber schon
gestärkt ist, da er sich aus der Gefangenschaft durch die Hexe befreien
konnte) gelingt es Kasper dem Feuerdrachen sein Potential zurückzugeben
und an die Schätze zu gelangen.
Annette Kuptz-Klimpel
Analytische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin
Aichtal
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