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Das Holzei
von Emer Seilern
Isabell , ein 3-jähriges Mädchen wurde von ihrer Mutter zur
Therapie angemeldet. Das zuvor aufgeweckte kleine Mädchen hatte sich
innerhalb weniger Monate sehr verändert, sie weinte viel, hatte an
nichts mehr Freude, spielte nicht mehr, war apathisch geworden und nannte
sich selbst „Scheißkind“. Sie schlief schlecht, nässte
wieder ein und hatte panische Angst vor Männern entwickelt. Nun hatte
sie der Mutter von sexuellen Übergriffen des Vaters erzählt.
Zu Beginn der Therapie litt Isabell unter einer posttraumatischen Belastungsstörung,
welche sich in depressiver Symptomatik mit apathische Stimmung, Interessensverlust,
Gefühlen von Wertlosigkeit, Alpträumen und Angstreaktionen zeigte.
In der folgenden analytischen Psychotherapie beschäftigte sie sich
u.a. mit unterschiedlichen Gegenständen, um ihrer inneren Situation
Ausdruck zu verleihen.
Davon
möchte ich nun das Spiel mit dem „Holz-Ei“ herausgreifen.
So verwendete Isabell in vielen Stunden ein ca. 3 cm kleines Holz-Ei,
welches zu öffnen ist und in dem ein ca. 1,5 cm großes Püppchen
steckt. Dieses Ei mit dem Püppchen erregte ihre Aufmerksamkeit in
hohen Maße. Sie verlieh im Spiel mit dem Holz-Ei und dem Püppchen
ihren schweren inner-seelischen Erschütterungen und deren Auswirkungen
auf ihr Unbewusstes, ihre Affekte und Gedankenwelt Ausdruck.
Die Themen von „Schutz vs. Ausgeliefert-Sein“ und „Aggression
und Schuld“ möchte ich kurz skizzieren.
1. Schutz vs. Ausgeliefert-Sein:
Bezogen auf das Empfinden ihres Selbst, beschäftigte sich Isabell
damit, dass ihr eigenes Selbst durch die sexuellen Übergriffe (die
fehlende Empathie und sexualisierte Gewalt) des Vaters, beschädigt
worden war und in weiterer Folge hätte völlig zerstört
werden können.
Die Gewährleistung des Schutzes für das Püppchen durch
die Ei-Schale beruhigte sie:
„Das Kleine muss beschützt werden, weil es so empfindlich ist.
Es ist doch erst geschlüpft.“
Das Püppchen ist winzig und im Spiel besteht immer wieder große
Gefahr, dass es verloren geht oder in letzter Konsequenz gar zerstört
wird.
2.
Aggression und Schuld:
Im Spiel hatte Isabell es in der Hand, ob das Püppchen geschützt
und geborgen oder in Gefahr, weil entwertet und schuldig, ist. Ich bangte
des öfteren um die Unversehrtheit und den Erhalt des Püppchens.
So warf sie es öfter weg, „weil es hat Schuld und niemand mag
es“. Oder auch: „Es wehrt sich nicht, lässt alles mit
sich machen.“ Sie konnte u.a. auch ihre Wut auf eigene fehlende
Wehrhaftigkeit und damit verbundene Schuldgefühle, im Zusammenhang
mit ihren traumatisierenden Erfahrungen bearbeiten. Es zeigten sich in
Isabells Spiel mit dem Holz-Ei und dem Püppchen u.a. ihre depressive
Gefühlswelt, Fragmentierungsängste (das Selbst wird zerstört),
ihre aggressiven Impulse und Gefühle von Schuld.
Isabell hat den therapeutischen Raum, die darin befindlichen Gegenstände,
u.a. dieses unscheinbare winzige Objekt und die therapeutische Beziehung
auf beeindruckende und berührende Weise nutzen können, um ihre
seelische Verletzung zu bewältigen und in ihrer seelischen Entwicklung
weiter wachsen zu können.
Emer Seilern und Aspang, Dipl.Psych.
Psychologische Psychotherapeutin
München
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